Die UEK hat ihre Tätigkeiten 2019 abgeschlossen.
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Orte der administrativen Versorgung – gestern und heute

24. April - 28. April 2019
 
Die Wanderausstellung der UEK auf dem Bahnhofplatz in Luzern
Der Eingang zum heutigen Musikzentrum Sedel, der frühere Zellenbau von 1935 von aussen
Das Referat über die Rechtsgrundlagen administrativer Versorgungen im Kanton Luzern
Das Referat über die administrativen Versorgungen im Sedel, hier im Konzertraum
Geschichten zum Musikzentrum Sedel, hier in der Pianobar
Die Führung durch den ehemaligen Zellenbau, wo sich heute Bandräume befinden

Die Veranstaltung vom 27. April 2019 widmete sich den Orten der administrativen Versorgung. Es fand sich eine Gruppe von rund 60 Personen ein, die sich gemeinsam auf den Weg zum Sedel am Stadtrand von Luzern machten – der ehemaligen Zwangsarbeitsanstalt des Kantons Luzern und heutigem Musikzentrum.

 

Gesetzliche Grundlagen für administrative Versorgungen in Luzern

Beim Sedel empfing Noemi Dissler, wissenschaftliche Mitarbeiterin der UEK, die Gruppe und erklärte in einem ersten Referat die gesetzlichen Grundlagen administrativer Versorgungen im Kanton Luzern. Im Kanton Luzern trat das Gesetz über die Errichtung einer Zwangsarbeitsanstalt, auch «Sedelgesetz» genannt, im April 1885 in Kraft. Es sah die Internierung «arbeitsfähiger, jedoch arbeitsscheuer, liederlicher Personen» ab dem vollendeten 16. Lebensjahr vor. Im Sedel sollten sie «durch strenge Arbeit und bessernde Zucht wieder an ein thätiges und ehrbares Leben» gewöhnt werden. Über die Versorgung einer Person in den Sedel entschied der Luzerner Regierungsrat, nachdem er einen entsprechenden Antrag von Gemeindebehörden oder von Eltern erhalten hatte. 

Nebst dem Sedelgesetz von 1885 galt im Kanton Luzern ab 1910 ein weiteres Versorgungsgesetz, das auf eine spezifischere Gruppe zielte: das Gesetz betreffend die Versorgung von Gewohnheitstrinkern. Auf ein amtsärztliches Gutachten gestützt sollten damit Alkoholsüchtige in Trinkerheilanstalten eingewiesen werden. Dieses Gesetz wurde nur selten angewandt, weil der Kanton Luzern selbst nicht über Anstalten für Alkoholiker verfügte. Da es die Gemeinden mehr gekostet hätte, ihre Bürger in entsprechende Institutionen in andere Kantone zu überführen, wiesen sie alkoholsüchtige Personen per Sedelgesetz in den Sedel ein. Denn auch das Sedelgesetz enthielt die Bestimmung, dass der Sedel «Trunksüchtige» aufnehme. Anstatt der Sucht mit einer Therapie entgegenzutreten, mussten sie dort Zwangsarbeit leisten.

In den 1950er und 1960er Jahren revidierte die Luzerner Regierung das Trinkergesetz und das Sedelgesetz. Während beim Sedelgesetz beispielsweise ein Beschwerderecht von 20 Tagen eingeführt wurde, wurden andere Forderungen der Kritiker wie etwa ein unentgeltlicher Rechtsbeistand nicht berücksichtigt. Zudem enthielt das neue «Gesetz über die Betreuung und Versorgung gefährdeter Erwachsener» weiterhin Begriffe aus dem ursprünglichen Gesetzestext, wie etwa «liederlich» und «arbeitsscheu».

 

Administrative Versorgung in den Sedel

Im zweiten Referat erläuterte Laura Schneider, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin der UEK, was man in den Archiven über die im Sedel versorgten Männer und Frauen sowie über deren Lebensumstände während der Internierung bisher herausfinden konnte. Die Personendossiers der im Sedel Internierten, die im Staatsarchiv aufbewahrt werden, bestehen in der Regel aus drei Teilen: einem Antrag der Gemeindebehörden, Polizeirapporten und Abrechnungen.

Den Antrag für eine administrative Versorgung stellte ein vorgedrucktes Formular dar, das bereits Begriffe aus dem Gesetz wie «arbeitsscheu» aufführte. Die Gemeindebehörden füllten die Formulare aus und sandten sie dem Amtsstatthalter zu. Dieser führte mit den vom Antrag betroffenen Personen eine protokollierte Anhörung durch. Aus diesen Protokollen wird deutlich, dass die Anhörungen das Ziel verfolgten, die der Person vorgeworfene Kategorie wie «Arbeitsscheu» oder «Liederlichkeit» zu bestätigen. Oft erklärten die angehörten Personen, dass sie sich stets um eine Arbeitsstelle bemühten, doch aufgrund der schlechten Situation auf dem Arbeitsmarkt oder von gesundheitlichen Problemen keine Stelle fänden. Dieser Argumente ungeachtet gab der Amtsstatthalter dem Regierungsrat in der Regel die Empfehlung, den Versorgungsantrag gutzuheissen. Darin schrieb er jeweils, der oder die zu Versorgende habe nichts dagegen vorzubringen. Der Regierungsrat folgte der Empfehlung des Amtsstatthalters in den allermeisten Fällen.

 

Der Sedel seit 1981 bis heute: Musik- und Kulturlokal

Der dritte Programmpunkt an diesem Samstagnachmittag war ein Rundgang durch die Räumlichkeiten des Sedel. Der Zellenbau stammt von 1935. Vorher waren Internierte in einem ehemaligen Schweinestall untergebracht, denn die Versorgten verrichteten landwirtschaftliche Arbeiten oder wurden in der Kiesgewinnung in Emmenbrücke eingesetzt. In den Sedel wurden Personen bis 1959 administrativ eingewiesen. Von 1959 bis 1971 war der Sedel eine Strafanstalt ohne administrative Versorgte. Danach lagerten kantonale Behörden im Gebäude ihre Akten ein, bis zu Beginn der 1980er Jahre die Luzerner Punk-Szene Probe- und Konzerträume forderte und der Kanton der Stadt das Gebäude überliess. Die Behörden übergaben 1981 den Osttrakt des Gebäudes an die Musikerinnen und Musiker.

In einem Raum mit dem Namen Pianobar in der ersten Etage erzählten der Präsidenten der Interessensgemeinschaft Luzerner Musiker (ILM) Silvan Weibel und der ehemalige Hauswart des Sedel und Punkmusiker Martin Gössi von den Anfängen des Musikzentrums und Anekdoten aus der Geschichte des Konzertlokals. Nach und nach gestanden die Behörden den Konzertveranstaltern immer mehr Raum zu. Heute ist der Sedel nach wie vor ein Konzertlokal. Zudem proben in den 54 Bandräumen, zu denen die ehemaligen Zellen umfunktioniert worden sind, rund 300 Musiker und Musikerinnen in Bands verschiedenster Musikrichtungen. Als Abschluss der Veranstaltung führte Silvan Weibel die Gruppe durch den dunklen Gang des ehemaligen Zellentrakts, in dem sich auf beiden Seiten in kurzen Abständen Türen zu den Bandräumen auftun. Die Bandräume sind unterschiedlich gross, je nachdem, ob sie aus einer Zelle oder aus zwei oder drei zusammengeschlossenen Zellen bestehen.
 
 

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