Ab 1866 nutzte der Staat Bern den ehemaligen barocken Sommersitz der Berner Patrizierfamilie von Erlach als Armenanstalt für Frauen, ab 1896 als Zwangsarbeitsanstalt, und seit 1912 ist auch die Frauenabteilung der kantonalen Strafanstalt dort untergebracht.

Eine räumliche Trennung der Insassinnen der Arbeitsanstalt (administrativ Versorgte) sowie des Zucht- und Korrektionshauses fand bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht statt. Sämtliche Insassinnen unterstanden bis etwa 1960 praktisch dem gleichen Regime.

 

Kontext der Quelle

Im Jahr 1928 präsentierte sich die damalige Arbeits- und Strafanstalt Hindelbank an der Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) in Bern im Bereich «soziale Arbeit». Von der damals angefertigten Schautafel ist wahrscheinlich nur das abgebildete Glasdiapositiv erhalten. Der Jahresbericht der Anstalt vermerkt zur Ausstellung: «Mit unserer Darstellung bezweckten wir einerseits, die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Gründe der Anstaltsversorgung hinzulenken. Andererseits stellten wir neben einigen statistischen Angaben dar, welchen Zweck die Anstaltsversorgung haben soll und mit welchen Mitteln wir die Ziele erreichen möchten.»

Bei der Schautafel handelt es sich folglich um ein Objekt aufklärerischer Propaganda, mit welcher der Kanton Bern Werbung machte dafür, wie er das aus seiner Sicht unangepasste Verhalten von Frauen ahndete. Bekannt sind Entstehungszeitpunkt sowie Urheberschaft der Schautafel. Die Künstlersignatur lässt auf die Berner Malerin Marguerite Frey-Surbek (1886-1981) schliessen. Zur bildlichen Repräsentation der Anstalt für Frauen wurde also eine renommierte Künstlerin engagiert. Bei der Schautafel stellt sich die Frage des Auftraggebers und damit der künstlerischen Freiheit: Bestimmten die Berner Polizeidirektion, die Anstaltsleitung oder die Organisatorinnen der Ausstellung über deren Form und Inhalt? Die SAFFA war eine von Frauen (für Frauen) organisierte Ausstellung. Mit der Verwendung der Schautafel signalisierten die Frauenverbände jedenfalls, dass sie die Versorgung von Frauen in Anstalten als angemessene fürsorgerische Massnahme befanden.

 

Inhalt der Quelle

Die Schautafel zeigt eine behördlich-institutionelle Sicht auf Nonkonformität sowie die Mittel, die damals zur Korrektion angeblichen Fehlverhaltens als wirksam erachtet wurden. Auf der linken Seite prangt die Überschrift «Ursachen der Anstalts-Versorgung». Bildlich umgesetzt sind die soziale Misere («Wohnungsnot», «Alkoholismus», «zerrüttete Familien») und das behördlich definierte Fehlverhalten («Putzsucht», «Prostitution», «Berufsuntüchtigkeit»). Die gegenüberliegende rechte Seite zeigt «Zwecke u. Ziele der Anstaltsversorgung» und illustriert diese anhand «gesunder und fruchtbarer Arbeit», von «Lesestoff», «Musikpflege» oder «Vorträgen». Es handelt sich um einen geschlechtsspezifischen Blick, waren doch in Hindelbank seit jeher ausschliesslich Frauen interniert. Indem das «Fehlverhalten» von Frauen und die vorgeblichen Mittel zur «Besserung» beschrieben werden, wird hier – in der Zwischenkriegszeit und damit in den Jahren wachsenden weiblichen Selbstbewusstseins – zugleich ein bürgerlich-patriarchales Rollenverständnis zementiert. Übersteigert wird die heilsbringende Botschaft der Schautafel durch ihre Formsprache: Die Anordnung des Schaubildes erinnert an einen Flügelaltar, in dessen Mittelteil die Anstalt mit statistischen Daten zu den Jahren 1926/27 figuriert – feierlich geschmückt mit einem Blumenbouquet.

 

K. Heiniger

 

Angaben zur Quelle

«Kantonal-bernische Arbeits- u. Strafanstalt für Frauen in Hindelbank. Maison de Travail-Penitencier», Schautafel der Arbeits- und Strafanstalt Hindelbank für die schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) in Bern, 1928, illustriert von Marguerite Frey-Surbek.

Signatur: Staatsarchiv des Kantons Bern (StABE): V Frauenzentrale 258 Berner Strafanstalt für Frauen Hindelbank (1928).