In bunten Bildern erzählt der Künstler der ‹Witzwiler Illustrierten› unmittelbar aus dem Alltag der Arbeits- und Strafanstalt Witzwil und klagt mitunter die administrative Internierungspraxis an. Zwischen 1928 und 1931 war er mehrmals in Witzwil administrativ interniert, wo er sich – wohl zum Zeitvertreib und zur Unterhaltung der Mitinternierten – kreativ betätigte.

Die Quelle und ihr Urheber

Die ‹Witzwiler Illustrierte› ist ein Konvolut von rund 90 Blättern im A3-Format, die sich – teils geheftet, teils lose – im Staatsarchiv Bern befinden. Das älteste Dokument (1. Jahrgang, Nr. 2) datiert von November 1929, das jüngste (Nr. 6) von April 1931. Von den mindestens sechs Ausgaben befinden sich die Nummern 2, 3, 4 und 6 im Archiv. Hier vollständig zu sehen ist das Heft Nummer 3 vom Dezember 1929 sowie eine Seite aus der vierten Ausgabe vom Januar 1930 (s. Dokumente unten).

Der Künstler signierte verschiedentlich mit E. Neuenschwander und E N, was auf eine Einzelperson als Urheber schliessen lässt. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um Emil Rudolf Neuenschwander (geb. 1892), der sich im fraglichen Zeitraum im Eintrittsregister der Anstalten Witzwil findet. Eine erste Einweisung für die Dauer eines Jahres erfolgte im April 1928 wegen angeblichem «liederlichem Lebenswandel», eine zweite im Juli 1929, diesmal für acht Monate. Da die jüngste ‹Illustrierte› vom April 1931 stammt, fand noch mindestens eine weitere Anstaltseinweisung statt. Gemäss Register war Neuenschwander Schlosser von Beruf.

 

Eine seltene Quelle

Die ‹Witzwiler Illustrierte› ist nicht allein wegen ihrer hohen künstlerischen Qualität eine Quelle mit Seltenheitswert, sondern auch, weil sie die Perspektive einer administrativ internierten Person wiedergibt. Neuenschwander kombiniert Bild und Text und reflektiert in der Art eines Comics den Anstaltsalltag, seine Zeitgenossen und die Fürsorgepolitik des Kantons Bern. Indem er über das rein Dokumentarische hinausgeht und seine Erfahrungen künstlerisch interpretiert, sprengt er den üblichen Rahmen von Selbstzeugnissen. Dass er aber mit seinen Darstellungen stets ganz nah an der eigenen Lebenswelt bleibt, seine Mitinternierten, den Anstaltspfarrer oder Lokalpolitiker porträtiert und Tagesereignisse wie einen Brand vom Dezember 1929 (humoristisch) ins Bild setzt, macht Neuenschwanders ‹Illustrierte› zu einem umso wertvolleren Zeitzeugnis.

 

Analyse der Quelle

Eine vertiefte Auswertung der ‹Illustrierten› würde etwa bedeuten, die dargestellten Mitinternierten und Funktionsträger anhand von Ein- oder Austrittsregistern und Personalverzeichnissen namentlich fassbar zu machen und einzelne Ereignisse anhand von Jahresberichten zu belegen. Da teilweise Aktenmaterial wie zum Beispiel Dossiers von Internierten nicht mehr existiert, lassen sich Vorkommnisse wie Gewalttaten und Unfälle, die dargestellt sind, im Einzelnen kaum noch überprüfen.

 

K. Heiniger

 

Angaben zur Quelle

Eine Seite aus einer von einem in den Anstalten Witzwil in Gampelen (BE) Internierten gezeichneten Illustrierten, 1. Jahrgang Nr. 3, Dezember 1929.

Signatur: Staatsarchiv Bern (StABE): BB 4.2.248.